Bildkräftige Sprache ohne überflüssige Klangkostüme

Pianist Lorris Sevhonkian malt in der Strudelbachhalle auf dem Fazioli-Flügel musikalische Bilder

Weissach. Am berückendsten kling der Fazioli-Flügel in der Strudelbachhalle am Dienstagabend, wenn der Schweizer Pianist Lorris Sevhonkian auf ihm flüchtige Lichterscheinungen in Musik übersetzt. Er erfasst Wesenhaftes und fasst es in eine konkrete Gestalt - ohne jede überflüssige Tünche.

Von Gabriele Müller

Einige der über 200 Zuhörenden haben den Directeur du Centre Pédagogique Romand de l'ASMP (Académie Suisse de Musique et de Pédagogie) in Montreux-Vevey schon einmal im Rahmen eines Hauskonzertes bei Henriette Thomas gehört. Sie hat auch den Kontakt zwischen der Gemeinde Weissach und dem Künstler hergestellt, der im vergangenen Jahr hier Aufnahmen für eine CD gemacht hat.

Die Stücke von Claude Debussy, die er damals eingespielt hat, hört das Publikum am Dienstag live. So bildkräftig ist seine musikalische Sprache, dass sich beim Zuhören vor dem inneren Auge genau jener Eindruck einstellt, welchen Debussy beim Komponieren im Kopf gehabt haben mag. Glanzlichter funkeln um die Wette in einem Meer matterer Töne, und mit gleißenden Arpeggien fängt der Pianist gleichermaßen Flüchtigkeit und brillante Pracht des materielosen Spiels der „Reflets dans l’eau“, der Reflexe im Wasser, ein. Nicht anders „Brouillards“, das Nebelschwaden auf akustische Weise wahrnehmbar macht. Es ist Wasserdunst in Tönen: Abermillionen mikrofeinster Tröpfchen, die nicht mit Händen zu greifen und doch allgegenwärtig spürbar sind. Immer wieder hört es sich so an, als würden Sonnenstrahlen in jedem von ihnen ein kleines Lichtlein anknipsen, während schwere, dunkle Schwaden dicht über dem Boden lagern. Unwirklich, nicht greifbar und zugleich auf unglaubliche Weise präsent sind die Segel „Voiles“. Nicht festes, dickes Tuch, das sich im Wind bläht, wird hier widergegeben, sondern das Feuerwerk der Reflexe, welches die Sonnenstrahlen auf dem weißen Stoff und der gekräuselten Wasseroberfläche zum Tanzen bringt: unfassbar, leuchtend und wunderschön. Der Wind in der Ebene, „Le vent dans la plaine“ wirbelt in stetiger Spannung, fast geisterhaft behutsam schleichen danach die nahezu lautlosen Schritte im Schnee „Pas sur la neige“ voran. Das Lichterflirren auf den silbrigen Schuppen der „Poissons d’Or“, der Goldfische, spielt Lorris Sevhonkian zum Abschluss. So schnell rollen hier wie auch vorher schon die Arpeggien über die Tastatur, so dass das Ohr die einzelnen Töne nicht mehr voneinander zu trennen vermag und eine Art akustischer Hörbilder im Pointillismus-Stil schafft, die – wie in der bildenden Kunst – nicht die Realität möglichst detailgetreu wiedergeben wollen, sondern einen erlebten Eindruck einfangen und darstellen.

Um tatsächliche Gemälde geht in den bekannten „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky, die als Abschluss auf dem Programm stehen. Hier schleichen sich zwar immer wieder kleine Unsauberkeiten dazwischen, das schmälert indessen kaum den großen Hörgenuss. Ganz deutlich ist hier zu hören, wie der Interpret noch die bekanntesten Miniaturen aus jenen Klangkostümen schält, welche in so vielen Interpretationen unnötig viel Pathos und Drama über die für sich allein schon wirkungsvolle Musik stülpen. Die eingängige Promenade, die Schilderungen vom Gnom und vom alten Schloss beispielsweise kommen angenehm schlicht unprätentiös und mit einem Minimum an Pedal daher, das neckende Spiel der Kinder in den Tuilerien und der schwere, grobschlächtige Ochsenkarren vermitteln sich wie von selbst. Hier kommt eine weitere Stärke des Paares Sevhonkian-Fazioli zum Vorschein: Beide zusammen schaffen schlanke, glatte Töne, ein ebenmäßiges Klangbild und ein Spiel, das vollkommen unangestrengt wirkt.

Angekündigt hatte sich das schon im ersten Stück: Präludium, Choral und Fuge von César Franck. Ein spätromantisches Werk, das die ursprünglich aus dem Barock stammenden musikalischen Formen in eine zusammenhängende, große Abfolge atmosphärisch dichter Stimmungsbilder umformt und dabei trotzdem die strenge Fugenform deutlich ans Ohr dringen lässt. Kein Wunder, dass das Publikum von so schöner Musik auf derart hohem Niveau noch mehr hören wollte. Insgesamt gab es vier Zugaben: das Prelude von Ravel, bei dem trotz Dunkelheit vor den Saalfenstern die Sonne aufzugehen schien, zwei virtuose und berührende Etüden (op. 25 Nr. 1 und 12) von Frédéric Chopin sowie die Pavane pour une infante défunte von Maurice Ravel.


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